Freitag, 26. Juni 2015

Wie gings eigentlich weiter mit: Lothars Verweigern am Berg?


Im ersten Jahr unserer Reise habe ich Lothar an einem heissen Tag mal überfordert, woraufhin er sich mir verweigerte und lernte, dass wenn er am Berg rückwärts läuft, ich nichts mehr machen kann. Dies hat er dann an jedem, aber wirklich jedem folgenden Hügel weiter probiert, was ziemlich gefährlich geworden ist. Das Resultat war, dass wir drei Monate keinen Berg mehr gelaufen sind. Konsequent. Danach hatten wir uns wohl so gut zusammengearbeitet, dass er es nicht mehr versucht hat und wir Hügel laufen konnten.
Limitiert wurden die Steigungen aber danach auch noch durch: - im ersten Jahr - die kürzere Haltbarkeit der Klaueneisen, was zu vermeiden war, und - im zweiten Jahr - das halb-aus-den-Schuhen-Schlüpfen der hinteren Füsse ab einem gewissen Grad Steigung, was auch zu vermeiden war, weil es Lothars Kraft reduzierte.

Dieses Jahr hingegen, mit den neuen Schuhen, gibt es diese Limitierung nicht mehr. Und so gehen Lothar und ich in ein neues Kapitel: herauszufinden, wie steil er gehen kann, ohne ihn an den Punkt zu bringen, sich zu verweigern. Und so lerne ich/wir täglich dazu.
Langsam weiss ich, dass er Teerstrassen und Waldwege - eigentlich egal wie steil - sehr gut läuft, solange ich ihn alleine rumkämpfen lasse. D.h. ich laufe mit Abstand vor ihm und er wählt seine eigene Geschwindigkeit und zieht und zieht. Ich darf ihm da nicht dreinpfuschen. Es stört ihn dann mehr, wenn ich neben ihm laufe. Aufpassen muss ich nur, wenn dann Wege abgehen, die weniger steil sind, weil er natürlich ab einem gewissen Punkt lieber dort einbiegt (nur um dann ganz erstaunt zu kucken, dass ich da nicht langelaufen bin). Das gilt aber allgemein nur für kühle Tage. Bei Hitze wähle ich keine sehr steilen Wegstrecken.
Laufen wir hingegen - alles mit Kutsche natülich - steile moosige Wiesenwege, dann ists ziemlich schnell aus. Er nimmt den Kopf nach unten und bleibt stehen, oder versucht Rückwärts zu laufen.
Anfangs dachte ich, dass er einfach nur zu müde, oder zu wenig motiviert sei (eher letzteres). Doch mittlerweile glaube ich, dass ich mir dieses Mehr an Kraft, die eine solche Wegstrecke mit 850 kg Kutsche hintendran bedeutet, gar nicht ausmalen kann (im Vergleich zu Teer und Waldweg). Ein Zeichen dafür war ein verbogener Karabiner am Zugstrang und das Schnaufen und die Anstrengung von Lothar, als ich eine solche steile Strecke nur mit ihm - ohne Kutsche - hinaufging. Ich glaube, dass er einfach schon Mühe hat, seinen eigenen 900kg Leib auf schlechtem Untergrund nach oben zu wuchten. 

Also was mache ich, wenn ich ein solches Stück hoch will?
Wenn es während des Tages ist und wir noch unterwegs sind: nicht laufen. Es gibt andere Wege. Das Risiko ihn langfristig wieder zu verärgern ist zu gross.
Wenn es zu einem schönen Campplatz führt? Das hängt davon ab, wie lange wir dort bleiben wollen. Nur für einen Tag: Kutsche unten stehen lassen und das Wichtigste, was wir brauchen selber hochschleppen.
Aber wenn wir dort länger bleiben dürfen, gar Regen angesagt ist (d.h. mehr Materialbedarf aus der Kutsche und die Kutsche an sich als trockener sicherer Platz für mein Hab und Gut)?
Das hatte ich gerade. Da haben Lothar und ich wieder einiges voneinander und miteinander gelernt. Erstmal habe ich schon vorher Rast gemacht, damit er wieder motivierter ist. Dann habe ich zweidrittel der Ladung abgeladen. V.a. die schweren Fässer und Kisten. Und sichergestellt, dass wir keine Zuschauer hatten, weil wir bei sowas alleine sein müssen. Und dann bin ich mit ihm ganz ruhig in den Berg, und habe - und das war eigentlich das Wichtigste- das Kopf nach unten machen und stehenbleiben, nicht als Verweigerung gesehen, sondern als Ende der Kraft und Pause. Habe ihm verschnaufen lassen, bis er selber wieder den Kopf hochgetan hat. Ich habe ihn aber auch nicht zurückweichen lassen. Und ihn nicht abdrehen lassen. Und dabei NIE die Peitsche an ihm eingesetzt, sondern nur neben ihm, wenn er abdrehen wollte (ihm also den Weg damit zu versperren). Das Führseil habe ich mir - sehr gefährlich ich weiss -  um die Hand gewickelt und mich komplett in den Berg eingekeilt, damit er nicht zurück konnte (klappte nicht immer) und mitgezogen. Und so haben wir auf 6 Anläufe das extrem steile, wiesig-moosige Stück Berg „bezwungen“, muss ich da schon sagen.
Danach habe ich den verschwitzten Lothar erstmal als den besten, tollsten und stärksten Ochsen überhaupt gelobt.  Da ich diese Platzwahl ja für MICH getroffen habe (weil uns da erstmal niemand so schnell sieht) wusste ich auch, was ich dann zu tun hatte:  Lothar abspannen, ihm einen Zaun bauen und grasen lassen und dann alleine für die nächste Stunde wieder in das steile Stück steigen um meine Sachen, die ich unten entladen hatte, selber hochzuschleppen.

Montag, 22. Juni 2015

Die Funklöcher des Schwarzwalds

Sie haben mich jetzt mehr als zwei Wochen ohne Internet gelassen. Dafür bekommt ihr jetzt zwei Berichte auf einmal!

Darf ich auch über Monster schreiben?



Mit der Zeit wird auch die Wanderschaft zum Alltag. Die Erlebnisse werden weniger intensiv, dafür wird das Reisen an sich leichter. Die Probleme rauben mir nicht mehr den Schlaf, ich weiss, dass wir immer irgendwo eine Wiese bekommen und uns die Leute freundlich gesinnt sind. Das Vertrauen in die Tiere ist stark und ich weiss sie in fast jeglicher Situation einzuschätzen.
Und so kehrt er ein, der Alltag. Auch hier, auf der Strasse.

Doch je weniger intensiv das Erlebte, um so weniger habe ich aber leider das Gefühl mich weiterzuentwickeln. Und dann kann es passieren, dass es mir die Tiefe meiner Reise entgleitet.
Und mit ihm tauchen sie wieder auf, die kleinen Monster in mir, die mir ziemlichen Müll in die Ohren reden. Und Gefühle in mir aufsteigen lassen, die ich überhaupt nicht will und deren Sinnlosigkeit mir klar bewusst ist.
Und dann steht er manchmal einfach da: der Neid z.b. oder der Drang nach materiellem Besitz. Nach äusserem Reichtum und nicht nach Innerem und das mit all seiner Kraft und dem elendigen Rattenschwanz, den er mit sich bringt.

Doch kaum steht dieser ungefragt in meiner Tür verschwindet die tiefe Liebe zum Leben aus dem Fenster. Ist weg und davon, im selben Augenblick. Keine Sekunde können Neid und Liebe in einem Raum sein. Und jegliches Gefühl von Getragen sein, Eingebettet sein und in Bewegung sein ist weg. Erstarrt.
Wahrscheinlich hat mich gar schon vorher die Liebe verlassen und damit überhaupt erst Platz gemacht hat für den Neid.

Und dann laufe ich und bin innerlich starr, verkrampft, kalt und zu.

Das heisst ich habe dann nichts: weder das was ich mir denke nie zu besitzen, noch die Offenheit und Lehre, die ich auf dem Weg sonst finde. Fein, toll gemacht, Eva!

Und dazu der erwähnte Rattenschwanz: auf einmal ist mir Lothar zu langsam! Ich treibe ihn an, bin unzufrieden mit ihm („du läufst doch grad nur so langsam um mich zu ärgern!“), das bringt mich noch mehr in meine innere Unzufriedenheit. Und Lothar kehrt sich sofort von mir ab, wird mir fremd. Schaut mich nicht mehr an und ist in sich gekehrt. Und ich ekel mich vor mir selbst.

In diesem Zustand kann ich mir selbst auch nicht mehr erlauben Zeit zu haben. Denke sie nützen zu müssen. Nur äusserlich produktiv natürlich! Alles andere zählt in diesem Zustand nicht.
Ich sehe nicht mehr die Gnade meiner Reise, sehe nicht mehr den inneren Weg in ihr. Und bin dann erstaunt, wenn sie mir von anderen Menschen vor Augen geführt wird.

Der Weg zurück in die Langsamkeit und die Freude ist viel schwieriger und länger und steiniger. Es braucht viel Zeit und Kraft um mich wieder zurück in mich zu bewegen. Und viel viel Willen dazu. Harte Arbeit! Aber dann taucht auch Lothar an meiner Seite wieder auf. Ganz langsam. Er ist da ein guter Spiegel.
Ich wünschte, ich könnte ihn ganz hinter mir lassen, diesen Teil in mir, der auch mal so vermonstert sein kann.


Kennt jemand von euch die 10 Ochsenbilder aus dem Zen Buddhismus (z.B. http://www.azentrix.de/page11/page11.html)? Da hat mich jetzt schon zwei mal jemand drauf aufmerksam gemacht und neulich habe ich sie nachgegoogelt. Und im Bild 4 wird eigentlich genau das beschrieben was ich oben schrieb. Da musste ich schon schmunzeln.

Filprojekt EVA

Der Film ist fertig! Soweit fertig, dass er - wie mir von der Fachfrau erklärt wurde- branchentypisch jetzt erst auf Filmfestivals gezeigt wird, um dann seinen weiteren Weg gehen zu können.




EVA
2015 - EXPERIMENTELLER DOKUMENTARFILM - FARBE - 5.1
LÄNGE: 85 MIN. - DEUTSCH MIT ENGL. UNTERTITELN

Eine junge Frau zieht durch die Lande.
Die Hündin "Piz" und der Ochse "Lothar" sind ihre treuen Begleiter.
Sie setzt einen Fuß vor den Anderen,
während Füchse schreien und Züge vorbei brausen.
Auf ihren sonnenverbrannten, starken Schultern trägt sie unendliche Weite.

Wenn der alte Mond langsam über das Firmament rast,
kommt der Schlaf mit schneeweißer Milch und dunklen Mauern.
Aber Evas Vertrauen ins Leben vertreibt diese Alpträume.
Der Regen verwischt die Grenzen zwischen Ende und Anfang
und die Zeit wächst in knorrigen Ringen um den Ursprung.

"Episch, archetypisch und kraftvoll - diese zeitlose Straße ins Nirgendwo
ist gleichermaßen eine Ode an die Freiheit (der Bewegung) und ein spirituelles
und sinnliches Abenteuer. Aufbauend auf wechselnden Geschwindigkeiten,
wechselndem Licht, Zusammenstössen der Dimensionen, ultra-langsamen Bildfolgen, extrem inspirierten visionären Aufnahmen und den Versen eines isländischen Gedichts aus dem 13. Jahrhundert. 
Ein hypnotisierendes Werk von Melanie Jilg."
Katalogtext Visions du Réel 2015 - Paolo Moretti

Kontakt: kontakt(aet)melanie-jilg.de
weitere Infos: www.melanie-jilg.de


Montag, 8. Juni 2015

Irgendwann in Zukunft

Irgendwann in Zukunft werde ich mal ungefähr zwei Jahre pausieren müssen. Damit mir Lothar ein neues Zugochsengespann (ja, als nächstes sollen es zwei Zugochsen werden) ausbilden kann. Und das möchte ich stationär irgendwo machen, bis deren Klauen gross genug sind in Hufschuhe zu passen und sie stark genug sind, lasten zu ziehen.
Und deshalb stelle ich langsam in die Welt, dass ich dafür einen schönen Ort finden möchte. Wo es möglich sein wird zu leben, zu trainieren und zu arbeiten.

Was für ein Ort dies sein soll ist ganz offen. Es könnte entweder nur eine Wiese sein mit Unterstand für die Tiere, wo ich dann in meiner Kutsche lebe und woanders arbeiten gehe. Oder eine Landwirtschaft, wo es, aus was für Gründen auch immer, über einen längeren Zeitraum gut wäre, wenn noch jemand vielseitig mit anpackt. Aber nebenher eben genug Zeit bleibt, die Kälbchen zu trainieren. Schön wäre es natürlich, wenn auch Lothar auf diesem Betrieb arbeiten dürfte, oder es gar andere Zugtiere gibt.

Neulich bin ich an einem Bauernhofmuseum vorbeigelaufen. Und hab mir gedacht, dass wir auch in sowas gut reinpassen würden, weil ja die Arbeit mit Ochsen und das anlernen neuer Tiere interessant sein kann für viele Menschen.

Nun könnte man ja meinen, dass Lothar eigentlich mit seinen sieben Jahren noch viele Jahre meine kleine Kutsche durch die Welt ziehen könnte. Doch ich selber bin mir da nicht so sicher. Diese Saison hatte er zwar noch keine Probleme mit seinen Vorderfüssen, doch manchmal auch wieder so gestörtes Allgemeinbefinden unbekannten Ursprungs. Weshalb ich nicht sicher bin, ob es nicht langsam an der Zeit wird, sich um seine Nachfolge zu kümmern, solanger er fit genug ist, die Ausbildung für mich zu übernehmen. Lothar kann den Kälbchen einfach durch seine ruhige Art viel schneller Vermitteln vor nichts Angst zu haben und hält sie auch besser, sollten sie mal versuchen durchzugehen.

Als Lothars Nachfolge, nein das klingt zu Schlimm, vielleicht sollte ich besser sagen: Lothars Hilfe, werde ich ungarische Grauviehrinder nehmen.  Mit einer der schönsten Kuhrassen auf Gottes Erdboden, sehr guten, harten Klauen und leichtfüttrig.

Es kommt sehr auf Lothar diesen Sommer an, ob wir schon ab nächstes Frühjahr einen Ort anpeilen, oder erst für ein Jahr drauf.
Wo das sein wird? Falls ihr was hört oder wisst, oder euch eine Idee kommt, egal wie ausgefallen: lasst es mich wissen!